2000 Kilometer auf der Spur der Wölfe

Vier Monate will der Wolfsforscher Peter Sürth den bedrohten Tieren
hinterherwandern, von Rumänien durch die Karpaten bis nach
Deutschland. Die Expedition soll den Lebensraum des Wolfes erkunden -
und sein schlechtes Image korrigieren. Wer sich für fit genug hält,
kann mitwandern.


     Von Christian-A. Thiel

     Die Karpaten sind eine faszinierende Berglandschaft mit ausgedehnten
     Wäldern, wilden Flüssen, tiefen Höhlen, Schluchten und Salzseen,
     Vulkanen und Schlammquellen. Man muß schon eine Menge Idealismus
     besitzen, sich hier im Frühjahr durch Schnee und Schlamm zu quälen
     oder 2000 Meter hohe Pässe zu überqueren. Und dabei immer nach
     Abdrücken von Pfoten Ausschau halten, nach Kratz- und Spielspuren
     suchen, Reste gerissener Beutetiere entdecken, Haare und Losung
     aufspüren, Wolfsgeheul lauschen. Und, als absoluter Höhepunkt, aus der
     gebotenen Distanz auch mal einen leibhaftigen Wolf beobachten.

     Peter Sürth (40) hat für ein ehrgeiziges Projekt einiges an
     Entbehrungen auf sich genommen. "Der Weg der Wölfe" (The way of the
     wolf) nennt er eine Wanderung, die ihn vom 1. April an vier Monate
     lang durch die Karpaten führen soll. Mehr als 2000 Kilometer will er
     zu Fuß vom Kalksteinmassiv des Königstein im Herzen Transsylvaniens
     bis nach Rietschen in der Lausitz zurücklegen - durch Rumänien, die
     Ukraine, die Slowakei, Polen und Tschechien nach Deutschland. Immer
     auf den Spuren der Wölfe.

     In Nordamerika wurde mehrmals nachgewiesen, daß ein einzelner Wolf
     über 1100 Kilometer in kurzer Zeit zurücklegen kann. Das entspräche
     einer Strecke von den Karpaten fast bis nach München. Ähnlich mobil
     sind Wölfe in Schweden, Italien oder Südwestfrankreich. An Grenzen
     halten sie sich nicht.

     Wenn Sie wollen, können Sie mitwandern - eine Woche oder länger, als
     Öko-Volontär. "Wer sich für fit genug hält, kann das Projekt
     begleiten", sagt Peter Sürth. Maximal vier Personen lösen sich dabei
     im Wochenrhythmus ab. Die Tagestouren sind zwischen 18 und 25
     Kilometer lang, auf dem Rücken lastet ein 15 Kilo schwerer Rucksack,
     übernachtet wird unter freiem Himmel. 300 Euro kostet der Spaß pro
     Woche, einschließlich Verpflegung. Das bedeutet Essen am Lagerfeuer,
     allerdings ohne Zeltplatz-Romantik: Müsli-Riegel, Nudeln, Brot und
     Gemüse aus der Dose.

     Wie gefährlich ist die Wanderung auf verschlungenen Pfaden, über
     Wiesen und durch die Berge, allein mit Hilfe von Wanderkarten und
     GPS-Satellitennavigation? "Etwas Abenteuergeist kann sicher nicht
     schaden", meint Sürth, beruhigt aber gleich wieder: "Vor wilden Tieren
     muß sich niemand fürchten. Ich habe acht Jahre in den Karpaten gelebt,
     da ist nie etwas passiert." Auch Begegnungen mit Menschen sollten
     harmlos bleiben: "Wir treffen vielleicht mal Schäfer oder
     Waldarbeiter. Und die sind hilfsbereit und freuen sich über
     Abwechslung."

     Problematischer könnte da schon das Wetter werden, das sich gerade in
     den Karpaten von Stunde zu Stunde ändern kann. "Auf dem Grat gibt es
     Böen, die dich in die Luft reißen können." Hilfe kommt im Notfall vom
     "Back-up-Team", das sich mit einem Geländewagen und Material in der
     Nähe aufhält - sofern das die Straßenverhältnisse zulassen.

     Peter Sürth, geboren in Basel, ist ein rastloser Wildbiologe,
     Wolfsforscher und Autor, der sein Domizil zur Zeit in Wildberg
     Gültlingen im Schwarzwald aufgeschlagen hat. "Mit zwölf wußte ich, daß
     ich einmal etwas mit Tieren machen würde", sagt er. Bis 2003 arbeitete
     er für das Carpathian Large Carnivore Project mit Christoph Promberger
     in Rumänien und forschte dort über Wolf, Braunbär und Luchs. Er
     bestückte die Tiere mit Sendern und ermittelte ihre Wanderrouten.
     Legendär wurde die "Stadtwölfin" Timis, die des Nachts zum
     Schaufensterbummel durch Brasov, das frühere Kronstadt, flanierte. In
     Transsylvanien, dem Reich Draculas, hat seither ein zaghafter
     Ökotourismus begonnen.

     Was ist ausgerechnet an Wölfen so faszinierend?

     "Der Wolf hat ein soziales System, das dem der Menschen sehr ähnlich
     ist", sagt Peter Sürth. "Da gibt es kleinfamiliäre Strukturen,
     Alpha-Tiere, klare Hierarchien, aber auch soziales Verhalten wie
     gegenseitige Hilfe, auf den Kindergarten aufpassen oder Nahrung für
     die Gruppe suchen." Je tiefer er sich mit dem Verhalten der Tiere
     beschäftigt, um so mehr Parallelen findet er: "Der Wolf ist ein
     schlaues, intelligentes und mutiges Tier, das aber - uns Menschen
     gegenüber - auch sehr ängstlich sein kann."

     "Der Weg der Wölfe" soll dabei helfen, das Image des Wolfes zu ändern.
     Noch zu oft gilt Meister Isegrim als reißende und menschenfressende
     Bestie, fest in der Kultur verankert durch Märchen von "Rotkäppchen"
     über den "Wolf und die sieben Geißlein" bis zu den Werwolf-Legenden.
     "Ich werde bei unserer Expedition demonstrieren", sagt Sürth, "daß uns
     kein Wolf anrühren wird, auch wenn wir draußen übernachten."

     In den Sagen und Mythen anderer Völker hat der Wolf durchaus nicht nur
     einen schlechten Ruf. Eine Wölfin zog Romulus und Remus, die
     Stadtgründer Roms, auf und wird seither in Italien verehrt. Findelkind
     Mowgli verbringt in Kiplings Dschungelbuch seine ersten Jahre bei
     einem Wolfsrudel. Und viele germanische Namen wie Wolfgang oder Rudolf
     (Ruhmwolf ) beziehen sich auf den Wolf. Schließlich wichen dem
     Göttervater Odin die Wölfe Geri und Freki niemals von der Seite.

     Aber besonders die Kirche stellte den Wolf in die dunkle Ecke. Sie
     suchte ein Wesen, das "das Böse" verkörpert. Und der Wolf frißt nun
     mal die Schäfchen. "Benjamin ist ein Wolf, der zerreißt", heißt es
     schon im 1. Buch Mose. "Und dieses Negativbild hat besonders die
     katholische Kirche dann gepuscht", begründet Peter Sürth die
     hartnäckigen Vorurteile, die noch heute jedes Comeback des Wolfes in
     Deutschland zum Glücksspiel machen.

     Es mag im Mittelalter vorgekommen sein, daß Wölfe während eines
     Krieges oder nach einer Epidemie auch einmal einen menschlichen
     Leichnam angeknabbert haben - daraus entstand das Bild des
     blutrünstigen Wolfes, der Menschen anfällt. Die Fakten sagen etwas
     anderes. "In den letzten hundert Jahren", zitiert Sürth die Statistik,
     "sind weltweit nur acht Menschen von einem Wolf angefallen und tödlich
     verletzt worden." Damit zählen Wölfe zu den am wenigsten gefährlichen
     Wildtieren.

     Menschen, die hautnah mit Wölfen leben, sehen das ohnehin pragmatisch.
     In Rumänien etwa sagen die Schäfer lapidar: "Wenn ein Wolfsrudel
     kommt, gehe ich hin und scheuche es weg." Und dort wissen die Jäger
     zum Beispiel auch: "Der Wolf hilft mir, meinen Wildtierbestand gesund
     zu halten." Ganz langsam beginnt sich auch hierzulande das Bild zu
     wandeln. Gerade noch rechtzeitig, denn der Wolfsbestand in Europa
     (außerhalb Rußlands) wird auf höchstens noch 15 000 Tiere geschätzt,
     gut ein Fünftel davon lebt in Rumänien. Immerhin wird nicht mehr jeder
     Wolf, der irgendwo auftaucht, gleich Opfer einer Jägerflinte. Daß die
     ersten vierbeinigen Einwanderer in Brandenburg und Sachsen überlebt
     haben, ist schon ein Erfolg. Der Wolf war auch "Tier des Jahres" 2003.

     Und da soll die Expedition "Der Weg der Wölfe" einen weiteren Impuls
     geben. Mehrere Projekte und Wissenschaftler arbeiten zusammen, um
     Vorkommen, Lebensräume und Bewegungen der Tiere in den Karpaten zu
     registrieren und katalogisieren. Neue Studien sollen Aufschluß über
     die genetische Vielfalt der Wölfe, Braunbären und Luchse geben - Basis
     einer künftigen Datenbank. "Je breiter die genetische Vielfalt", so
     der Wissenschaftler, "um so besser kann sich der Wolf anpassen und
     kommt mit den Veränderungen zurecht, die wir Menschen verursachen."

     Die Karpatenregion gilt als artenreichste Naturlandschaft Europas. Je
     näher die Staaten aber an die EU rücken und ihre Infrastruktur
     modernisieren, desto mehr sind die großen Wildtiere in Gefahr. Deshalb
     regt Sürth eine bessere Zusammenarbeit der beteiligten Länder an, um
     das noch bestehende ökologische Netzwerk zu erhalten.

     Fotografen werden den "Weg der Wölfe" begleiten. Aktuelle Bilder und
     Tagebuch-Einträge sollen ins Internet gestellt werden. Im Anschluß ist
     eine Filmdokumentation geplant. Erst danach kann das Vorhaben
     refinanziert werden. Die Wanderung ist übrigens nur der Beginn eines
     langfristig angelegten Projekts. Im Blickpunkt hat Peter Sürth
     besonders Kinder und Jugendliche: "Sie sind der Schlüssel für die
     Zukunft - auch der Wölfe."

     Einzelheiten über das Projekt  im
     Internet: www.derwegderwoelfe.de und www.human-wildlife.info Peter
     Sürths Buch "Wolfswelpen" über die rumänischen Jungwölfe Poiana und
     Kraj erscheint im Februar. Mehr über Mythen und Geschichten: Dagmar
     Langwald: Faszination Wolf. Sammler Verlag, 240 S.; 29,90 Euro.

     WAS WIR ÜBER WÖLFE BISHER WISSEN

     Der Wolf (canis lupus ) hatte seit jeher zum Menschen ein besonderes
     Verhältnis. Er war ein Nahrungskonkurrent, profitierte aber auch von
     Siedlungsabfällen. Ob er vor rund 12 000 Jahren Stammvater aller
     Haushunderassen war oder ob es eine Zwischenform gab, ist umstritten.
     Der europäische Wolf ist graubraun, wird 1 bis 1,60 Meter lang und 30
     bis 50 Kilo schwer. Pro Tag frißt er 2 bis 4 Kilo Fleisch, begnügt
     sich aber auch mal mit Aas oder Früchten. Wölfe leben in hierarchisch
     organisierten Rudeln mit meist fünf bis acht, aber auch bis zu 20
     Tieren. Ihr Revier kann zwischen 120 und 350 Quadratkilometer groß
     sein. Sie verständigen sich mit einer vielseitigen Körpersprache. Nur
     die ranghöchsten Rudeltiere paaren sich. Der Wurf, vier bis sieben
     Junge, wird in einer Höhle geboren.

     erschienen am 15. Januar 2005

     in Wochenende
   
     www.derwegderwoelfe.de

     www.human-wildlife.info

Vollständige Url des Artikels: http://www.abendblatt.de./daten/2005/01/15/387018.html

(c) Hamburger
Abendblatt